Worum geht es? Zack von Zacksmovie hat dazu aufgerufen, den S.E.P.T.E.M.B.E.R. zu schauen – Buchstabe für Buchstabe. Die „E“s sind tatsächlich herausfordernd, viel habe ich nicht entdeckt, worüber ich gern schreiben würde. Hier sei auch – siehe unten – auf die tollen Beiträge der anderen verwiesen. Meine Wahl fällt auf Una mujer fantastica (OT), der hier gerade in der Frieda lief.

Das Recht auf Abschied
Die Wasserfälle rauschen mit unnachgiebiger Gewalt in die Tiefe, dann wird es dunkel. Santiago de Chile: Textilunternehmer Orlando (Francisco Reyes) schwitzt in der Sauna und wird gleich seine 20 Jahre jüngere Partnerin Marina Vidal (Daniela Vega) von einem Auftritt abholen und sie zu ihrem Geburtstag zum Essen ausführen. Die beiden Liebenden verbingen einen schönen Abend miteinander, fahren nach Hause, haben Sex – Stunden später ist Orlando tot. Und plötzlich geht alles ganz schnell: Die Polizei (Kriminalkommissarin Adriana: Amparo Noguera) stellt Marina unbequeme Fragen, die Familie drängt auf ihren Rückzug und Orlandos Noch-Ehefrau Sonia (Aline Kuppenheim) macht deutlich, dass sie auf der Beerdigung unerwünscht ist, sein Sohn Bruno (Nicolás Saavedra), dass sie die gemeinsame Wohnung ihres Partners verlassen soll. Einzig Gabo (Luis Gnecco), Orlandos Bruder, scheint ihr gewogen zu sein. Marina, erträgt dies erst stoisch, muss sich dann jedoch ihr Recht auf Trauer erkämpfen, um ihren Geliebten zu verabschieden.
by Piffl Medien
„Ich verstehe nicht, was du bist“
„Chimäre“, „Perversion“, „Tunte“ – nur ein paar der verbalen Auswüchse, welche die sich provoziert gefühlte Umgebung Marinas von sich gibt. In ihrem Personalausweis steht immer noch ein Männername – eine Kraftanstrengung für ihre Umwelt. Es ist der Moment, in dem sich offenbart, was der nicht informierte Zuschauer bis dahin bereits argwöhnt: Una mujer fantastica. Es ist der Moment, in dem die Tour de Force der schönen Chilenin aufs Neue beginnt.
Der Ansatz, den Regisseur Sebastián Lelio (La sagrada familia, The Year of the Tiger, Gloria) hier wählt, ist weitestgehend kompromisslos. Der Zuschauer wird nicht nur zum Hinsehen gezwungen, er haftet an Marinas Gesicht, ihrem Körper, ihrer Präsenz und wird an ihre Erlebenswelt gebunden. Und das kann nur funktionieren, wenn man eine Hauptdarstellerin, wie Daniela Vega hat – selbst transsexuell, zart, ungebrochen, stark und eben fantastisch. Eine Kraft, die sich durch den ganzen Film überträgt. Um es mit Händels Arie „Ombra mai fu“ auszudrücken, die Marina im Film singt: Nie war der Schatten einer Pflanze lieblicher und angenehmer, süßer.

Die Musik ist ein wesentlicher Teil im Film, aus dem die Hauptfigur ihre Stärke bezieht. Ob im Nachtclub, neben dem Klavier ihres Gesangslehrers oder auf der großen Bühne, die Stimme von Lelios entschiedener Frauenfigur ist demonstrativ, ihre Präsenz zum Greifen nah, aber nicht fassbar. Ein Einfluss Pedro Almodóvars liegt nahe, auch wenn der Film in Rottöne getaucht wird und Lelio den Zuschauer Marinas Liebe und damit verbundene emotionale Kraft spüren lässt. Hervorgehoben wird dies mit auch mit einigen wenigen Traumszenen, die bedauerlicherweise ob ihres sparsamen Einsatzes künstlich aufgeblasen daherkommen bis obsolet sind, aber auch ihre Figur feiern, sie strahlen lassen. Man kann gar nicht anders, als sich in sie zu verlieben.

Love against all odds
Orlando und Marina trennten sowohl Alter als auch Klasse. Als ob das nicht genug der gesellschaftlichen Hindernisse wäre, werden zusätzlich Karikaturen der chilenischen transphoben Gesellschaft in ihren Weg gestellt, die ihre Beziehung auch nach dem jähen Ende verdammen und Marinas Identität als Frau verleugnen. Kleine Kämpfe im Verborgenen, eine Transition erfährt die in Erregung versetzte Mehrheit nicht. Es ist der spürbare Unterschied zwischen keiner rein erzählten Identität und dem Abbild einer anderen. Viele Spiegel sind im Film sichtbar, einer davon liegt auf Marinas Scham und reflektiert ihr Gesicht. Der hervortetendste ist jedoch der, eben jener neumündigen Gesellschaft, die sich noch an absoluten Wertvorstellungen und Vorurteilen sättigt.
Beiträge anderer Teilnehmer:
Ma-Go – Enemy
Shalima – Eat Pray Love
Hotaru – The Edge of Seventeen
You Make Me Feel Like A Natural Woman. Eine fantastische Frau ist aktuell im Kino zu sehen.

Regie: Sebastián Lelio Drehbuch: Sebastián Lelio &
Gonzalo Maza Schnitt: Soledad Salfate Kamera: Benjamín Echazarreta Musik: Matthew Herbert SchauspielerInnen: Daniela Vega, Francisco Reyes, Luis Gnecco, Aline Küppenheim, Nicolás Saavedra, Amparo Noguera, Trinidad González, Néstor Cantillana, Alejandro Goic, Antonia Zegers Produktionsdesign: Estefania Larrain Produktionsland: Chile, Germany, Spain, USA Laufzeit: 104 Minuten Bildformat: 2,35:1 FSK: Ab 12 Jahren Verleih: Piffl Medien GmbH
Zur Playlist hinzugefügt:
Periódico de ayer von Hector Lavoe
Time von The Alan Parsons Project
Kling großartig! Wird direkt notiert.
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[…] Morgen Luft → „E“ wie Eine fantastische Frau […]
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Wow…und wieder ein ganz besonderer und sehr spannender Film! Danke für den schönen Blick abseits des Üblichen 😊
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Der war wirklich ganz schön. Etwas mehr Subtilität hätte ihm aber ganz gut getan.
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Ja, kam bei deiner Rezension eh ganz gut rüber…aber ich find es trotzdem echt toll, dass du die September – Challenge mit deiner Auswahl ein bissal aufpeppst und wegführst vom Mainstream 😁👍
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Ich versuche es. Ist gar nicht so einfach, aber hey, nun komme ich endlich mal dazu die „Vorgemerkt“-Liste bei Moviepilot intensivst zu nutzen^^ …und vor allem abzuarbeiten…
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Also ich find du machst das bisher hervorragend 😉! Ich hab meine Film auch durch meine Watchlist zusammengestellt 😁
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😛
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[…] Beiträge anderer Teilnehmer: Ma-Go – Enemy Shalima – Eat Pray Love Hotaru – The Edge of Seventeen Ainu89 – Everst Morgen Luft – Eine fantastische Frau […]
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Und wieder ein Film, mit dem keiner rechnet.
Ich finde es bemerkenswert, dass du so tolle und künstlerische Filme schaust und diese uns näher bringst. Danke, für diesen tollen Artikel.
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Dankeschön.
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